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Selten gut geschlafen

Bericht eines Vortrags über das Thema…? Äh, wie hieß es noch?


Es ist ein Phänomen. Karl G. befindet sich gerade auf der Betriebsversammlung eines Großkonzerns. Es ist Pause. Karl G., der Name ist frei erfunden und steht für viele, die irgendwann auf dem Podium stehen und vor anderen reden müssen, Karl also steht in der Pause mit seinen Kolleginnen und Kollegen zusammen. Er kommuniziert entspannt, plaudert, lacht, betreibt Small Talk und fühlt sich offensichtlich wohl in seiner Rolle.


Hilfe, jetzt muss ich reden


Nach der Mittagspause jedoch, als er die Bühne betritt, um einen einstündigen Bericht zu halten, treten ihm Schweißperlen auf die Stirn, seine Handflächen werden feucht und der Atem flach. Im Schutz der Gruppe fühlte sich Karl souverän, jetzt, aus der Gemeinschaft herausgetreten, überkommt ihn die Unsicherheit. Er steht auf dem Podium, vor sich das Mikrophon, mehrere hundert Menschen richten gespannt ihre Blicke auf ihn. Karl fühlt sich von seinen Sinnen im Stich gelassen. Er würde am liebsten wegrennen. Sein Kopf ist leer, er kann nicht mehr klar denken. „Wie soll ich anfangen? Ist das Mikrophon richtig eingestellt? Wird man mich gut hören? Ist mein Manuskript vollständig? Mein Mund ist trocken.“


Die meisten von uns sind Fluchttiere!


Was Karl gerade passiert ist nicht ungewöhnlich. Tief in uns drinnen hat jeder einen Schutzmechanismus, der uns vor Unbekannten warnt und Angstreaktionen auslöst. Das Unbekannte könnte uns ja feindlich gesinnt sein. Sich als Redner vor einer Gruppe zu präsentieren ist etwas Unbekanntes.


Wer hört mir zu? Wie werde ich wahrgenommen, aufgenommen, kritisiert? Sitzen da Leute, die mir fachlich überlegen sind? Was, wenn ich den Faden verliere? Was wenn die Technik versagt?

Das sind ganz normale Bedenken, die berechtigt sind? Schwieriger wird es, wenn sich diese Bedenken in existentielle Ängste verwandeln, wie bei Karl. „Da muss ich durch“, schießt es ihm durch den Kopf, er legt sein perfekt vorformuliertes Skript auf das Pult und beginnt zu lesen. Die Zuhörerinnen und Zuhörer befinden sich zum größten Teil noch im Suppenkoma, denn das Catering hat diesmal gute Arbeit geleistet, und der monotone Lesefluss von Karls Rede wirkt wie ein verbales Schlafmittel und lullt die Zuhörenden langsam aber sicher ein. Die wenigsten schafften es, der gut vorbereiteten und ausformulierten Rede zu folgen und einen Nutzen daraus zu ziehen. Wer auf dem Präsentierteller steht, ist besonders empfänglich für Stimmungen. So auch Karl. Er merkt, dass es nicht gut läuft. Er klammert sich noch entschiedener an sein Manuskript und liest und liest und liest. Monoton und gradlinig. „Es ist nicht gut“, denkt er sich, „niemand interessiert sich“ und „Wie rette ich mich aus der Situation?“ Solche Gedanken sind während einer Rede verheerend. Die negative Energie, die dabei entsteht, lässt keine Freude an der Vortragssituation aufkommen.


Freude und Begeisterung sollen überspringen.


Am Abend sitze ich mit Karl bei einem Glas Wein und bespreche seine Rede. Er hat mich engagiert um ihm als Redner zu coachen.

„Regel Nummer 1“, eröffne ich die Kritik, „lies nie wieder einen Vortrag ab. Das wirkt einschläfernd. Ausformulierte Schriftsprache ist nicht mit dem gesprochenen Wort vergleichbar. Man spricht anders als man schreibt. Regel Nummer 2: die Zuhörer wollen zwar den Inhalt verstehen, aber das tun sie über deine Persönlichkeit. Dadurch, dass du im Moment die Sätze gestaltest, dass du im Moment deine Gedanken formst, auf Fragen eingehst und souverän mit dem Inhalt spielst, dadurch gewinnst du die Zuhörer, denn es ist deine Persönlichkeit, die die Rede im Moment gestaltet. Das springt als Funke über. Der abgelesene, vorformulierte Vortrag schläfert ein. Und genau das ist in deiner Rede passiert.

„Stimmt, es war wie eine Abwärtsspirale. Ich war verunsichert, die Zuhörer wurden unkonzentriert, ich musste mich zwingen nicht mehr in den Saal zu schauen. Der Kontakt ging verloren und habe ich bald gemerkt, dass die meisten abwesend waren. Hunderte selbstreflektierende Gedanken rasten durch den Kopf, der nicht mehr wusste, was mein Mund sagt.“


Sei gut vorbereitet. Dann gilt: Ein kleiner Zettel als Sicherheitsanker reicht.


„Das nächste Mal verabschiede dich vom Manuskript. Wenn du eine Rede dennoch ausformulierst, nimm das Manuskript nicht mit auf die Bühne. Ein kleiner Zettel mit wenigen Eckpunkten reicht. Begeistere die Zuhörer mit deiner Persönlichkeit. Dass du fachlich kompetent bist, steht außer Frage, deshalb hat man dich beauftragt. Deine Redeangst kannst du überwinden. Es ist gar nicht so schwer, wir müssen nur dran üben. Und noch etwas: stell dich nicht selber in den Mittelpunkt. Es interessiert nicht, was es für dich bedeutet oben zu stehen und über dieses Thema zu reden. Setze dich mit den Bedürfnissen der Zuhörer auseinander. Werde nicht Vorleser, Folienaufleger oder Diener der Technik. Sei Du!“


Training und Anleitung helfen.


Alle Aufgaben lassen sich durch Schulung, Training oder Unterstützung besser ausführen. Keiner kommt auf die Idee, ein Computerprogramm ohne eingehende Schulung zu begreifen. Und wer nicht üben konnte, wird neue Herausforderungen fürchten. Das gilt auch für Reden auf der Bühne.

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